Bente hat eine Windjacke an, obwohl es inzwischen wärmer geworden ist. Der Wind ist eben immer da. Und oft ist er nicht sehr liebevoll. Er hat alles geprägt auf diesen Nordseeinseln. Er hat die Samen der Gräser jahrzehntelang über den Sand gewirbelt, den das Meer anschwemmt. Nun haben sich auf weiten Strecken Pionier- und Amphibienpflanzen angesiedelt. Sie geben der Landschaft ein neues, lebendigeres Gesicht.
"Was, um alles in der Welt, macht Ihr denn hier, wenn die Touristen fort sind?", frage ich Bente.
"Dann", sagt sie und wird sehr nachdenklich, "dann wird's eigentlich erst schön bei uns. Dann kannst Du stundenlang laufen, ohne jemandem zu begegnen. Verirren wirst Du Dich nie, man hat die Wege markiert. Bei Sonderho kannst Du noch sehen, wie man früher Tausende von Wildenten gefangen hat. Das ist jetzt verboten, aber die Kanäle und Reusen sind noch da. Dort saßen die Lockenten. Jetzt ist dort ein großes Vogel- und Naturschutzgebiet, wunderschön und still. Weißt Du, wenn Du so richtig kaputt und mit den Nerven am Ende bist, dann findest Du bei uns wieder zu Dir selbst. Aber natürlich nicht in der Hochsaison, wenn die Badegäste hier sind."
Ich versuche, mir vorzustellen, wie das aussieht, wenn auf Europas breitesten und längsten Sandstränden Hochsaison ist. Mit fällt der Stachus in München um fünf Uhr nachmittags ein. Mich schaudert.
Vor dem "Sonderho Kro" liegt ein glänzendbrauner Jagdhund im grün-braun gestrichenen Türrahmen. Er wischt mit dem Schwanz die Schwelle sauber, als er sich erhebt, um uns eintreten zu lassen. Wir müssen uns bücken. Dieser "Krug" ist einer der ältesten in Dänemark und ganz gewiß einer der gemütlichsten. Blitzendes Messing, hübsches Keramikgeschirr auf blankgescheuerten Tischplatten, bunte gestärkte Vorhängchen, ein Kachelofen, alte bauchige Gläser. Die Wirtin heißt Olga, ist jung und modern.
Hinterm Haus steht ein neuer Schlaftrakt mit sieben großen Zimmern. Man betritt ihn durch einen blau-lila gestrichenen Türrahmen; ein Luxushotel in Miniform. Dänisches Holz, viele bunte Kissen, Daunendecken unter schweren Balken, moderne Leuchten und weiße weiche Fellteppiche. Vom Kaminzimmer aus hat man einen weiten Blick übers Wattenmeer bis hinüber zum Dom von Riba auf dem Festland.
"Zu Dir komme ich mal für länger", sage ich zu dem Hund auf der Schwelle, "dann sausen wir zusammen am Strand, wenn Du magst."
Er wedelt freundlich.
Auf der Nachbarinsel Rømø ist alles winzig. Der höchste Berg ist 19 Meter hoch. Das alte Schulhaus (inzwischen gibt's auch ein neues für die 84 Schüler) misst fünf Meter im Quadrat und es hat drei Pappenfenster. Es ist kein Problem, vor dem Mittagessen um die ganze Insel herumzuwandern. (Doch ist Rømø immer noch ein wenig größer als Fanø: Siebzehn Kilometer lang und fünf breit, an manchen Stellen sieben.)
Rømø war in früheren Zeiten die Insel der Walfänger. Die Männer waren den größten Teil des Jahres weit weg von ihrer Heimat. Am 21. Februar wurde das "garilo", das Petrifeuer angezündet und die Männer machten ihre Schiffe zum Auslaufen bereit. Erst im September kehrten sie zurück. Die Erfolgreichsten hatten 300 Fässer Tran an Bord, das sie aus Walspeck gewonnen hatten. Vom Verkauf der Ladung lebte die ganze Insel.
Ein Teil von Rømø gehörte früher zum Herzogtum Schleswig. Deswegen herrschten auf dieser Insel andere Gesetze als auf Fanø. Weil sie so günstig in der Nordsee lag, wollten Könige vieler Länder die Insel haben; es gab manche Kriege. Trotzdem ist Rømø immer wohlhabend gewesen. Die Kunstwerke in den Kirchen und in den Museen beweisen es noch heute. Wie an einer Perlenschnur aufgereiht liegen die sauberen kleinen Dörfer an der Ostküste. An der Westseite wird gebadet - von Anfang Mai bis Mitte September. Sonderstrand ist den Nackten vorbehalten.
Fortsetzung: Flache Fische in brauner Haut >>
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