Bevor man ihn sieht, hört man ihn. Die Töne, die der "Heuler" von sich gibt, wenn er das Klappern des Futtereimers hört, klingen wie das Schnarchen eines Babys und das Maunzen eines Kätzchens. So geschwind es seine kleinen Flossen tragen, kommt das Seehundbaby über den Sandstreifen gewatschelt - es kann gar nicht schnell genug gehen, obwohl es doch schon weiß, dass die Fütterungsprozedur ziemlich umständlich ist. 17 kleine Seehunde leben derzeit auf der Seehundstation Friedrichskoog in Dithmarschen. Man nennt sie "Heuler", weil sie wirklich wie Babys wimmern, wenn sie aus irgendeinem Grund von ihrer Mutter getrennt werden. Das kann durch deren Tod passieren - aber auch durch einen Sturm.
Im Wattenmeer vor Schleswig-Holstein gibt es 13 000 Seehunde. Die Jungen kommen im Sommer auf den Sandbänken zur Welt - sie wiegen sieben bis zehn Kilo und können sofort schwimmen. Wenn Menschen einen Heuler ohne Mutter finden, sollten sie ihn nicht anfassen. Man muss sich dann sehr ruhig verhalten und die Seehundstation oder die nächste Polizeidienststelle benachrichtigen. Dann wird das Kind abgeholt und in Friedrichskoog aufgepäppelt, bis es das nötige Gewicht erreicht hat, um nach zwei bis drei Monaten wieder ins Meer zurückgelassen zu werden.
Der Heuler muss vor allem alleine fressen lernen. Tanja Rothenberg, die kleine energische Leiterin der Seehundstation, wischt ihm erst mal sein Mäulchen ab und schiebt mit schnellen, vorsichtigen Bewegungen dem Winzling einen Schlauch in den Hals. Zermahlener feuchter Fischbrei wird langsam durchgedrückt, sodass der Heuler kaum noch schlucken muss. Manchmal muss Tanja sich auch auf ihre Schützlinge setzen, damit sie ihr nicht entwischen, und oft steht sie in ihrer riesigen wasserdichten Hose bis zu den Hüften im Planschbecken der Tiere, um sie besser handhaben zu können. Vier- bis sechsmal am Tag machen die Pfleger diese Arbeit und jedesmal müssen jedes Tier und jedes Becken sorgfältig gesäubert und desinfiziert werden, damit Krankheiten nicht übertragen werden.
Daneben macht Tanja Führungen für die vielen Besucher in der Aufzuchtstation, erklärt im angeschlossenen Museum klug und engagiert alles über ihre Lieblinge, die sie, wenn sie groß genug sind, nur schweren Herzens wieder an die Nordsee hergibt. Fast alle Tiere hat sie durchgebracht und die vielen Pflaster an ihren Händen beweisen, dass die Zärtlichkeiten kleiner Seehunde ganz schön weh tun können.
Die Seehundstation Friedrichskoog wurde 1985 gegründet und lebt von Spenden, Patenschaften und dem Eintrittsgeld ins Museum. Sie ist eine der größten Anziehungspunkte in Dithmarschen. An manchen Tagen können gar nicht alle Besucher eingelassen werden. Oberstes Gebot heißt: Ruhe für die Tiere, denen man stundenlang zuschauen kann, wenn sie spielen und tauchen oder auch schlafen.
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