Den Überblick haben wir schon vor Stunden verloren, wir wissen nur, dass es immer in Richtung Norden geht und dass wir bald an der Grenze zu Burma, dem jetzigen Myanmar, sein müssten. Wir sitzen dichtgedrängt auf Brettern in einem Gefährt, dessen Bauart irgendwo zwischen Jeep und Lastwagen angesiedelt ist. Die Stange in meinem Rücken hält die Plane, durch deren schmale Schlitze wir rückwärts in die diesigen Täler unter uns blicken können. Es geht in Serpentinen immer höher hinauf.
Wo sind wir bloß? Der Nebeldunst wird immer dichter.
In der Hauptstadt Bangkok hatten wir erfahren, dass es hier oben im Norden am schönsten, am abenteuerlichsten und am märchenhaftesten sein soll. Und längst nicht so überlaufen wie am Strand von Phuket oder auf der Insel Ko Samui im Süden des langgestreckten Königreiches.
Unser Thai-Fahrer macht eine schwungvolle Kurve und der klapprige Wagen hält. Mit steifen Knochen steigen wir heraus und stehen im warmen, angenehmen Sonnenlicht. Eine morsche Hütte ist da, auf einem Brett sind Coca-Cola und Bier in Dosen aufgereiht. Eine Frau in bunter Tracht und fremdartigen Gesichtszügen, öffnet eine Blechtruhe mit Eiswürfeln. Wir sind dankbar für die Getränke.
Den Weg ins Dorf versperrt eine Stange. Der Fahrer hebt sie hoch und wir balancieren auf einem Brett über ein schmutziges Rinnsal. Und dann, vor einer Hütte sehen wir sie: die erste Langhalsfrau. Man spürt sofort, dass sie etwas Besonderes ist und man spürt auch, dass sie das weiß. Auch für westliche Begriffe ist sie schön.
Das Mädchen ist vom Stamm der Pa-Dong. Die Legende erzählt, dass alle weiblichen Babys, die an einem Mittwoch bei Vollmond geboren werden, dazu bestimmt sind, ihre Kräfte und Energien anderen zugänglich zu machen. Ab dem vierten Lebensjahr beginnt man, diesen Mädchen Messingringe um den Hals zu schmieden - immer mehr und mehr, bis er völlig unnatürlich lang geworden ist. Manche Mädchen tragen bis zu vier Kilo Gewicht ständig zwischen Schlüsselbeinen und Ohren. Würde man die Ringe je abnehmen, bräche dem Kind das Genick. In ihren Bewegungen dermaßen eingeschränkt, sind die Mädchen gezwungen, sich mit den weniger weltlichen Dingen zu beschäftigen. Es heißt, dass sie weissagen können und Heilkräfte besitzen.
Unsere Schöne jedenfalls ist es schon gewohnt, von Fremden bestaunt zu werden. Sie verdient gutes Geld, wenn sie ihr maskenhaftes Gesicht den Fotolinsen stellt. Wir genieren uns weit mehr als sie. Als wir ihr ein paar bunte handgewebte Bänder und Tücher abkaufen, huscht ein kleines Lächeln wie ein Sonnenstrahl über ihr Gesichtchen. Das Geld kommt ihrem Stamm zugute - das freut sie.
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