Was weiß man schon hier bei uns von diesem amerikanischen Bundesstaat ganz weit drunten im Südwesten des Riesenreiches, wenn selbst die Amerikaner in Boston oder New York kaum etwas von New Mexico gehört haben? Geschweige denn, dass sie je dort gewesen wären. Santa Fe, die Hauptstadt? Ja doch, davon hat man vielleicht gehört. Zumindest derjenige, der Karl May gelesen hat. Aber der wiederum ist in den Vereinigten Staaten völlig unbekannt.
Man hat Bilder vor dem geistigen Auge: Wüste, Berge, Indianer, der "Wilde Westen", tiefe Schluchten, ausgetrocknete Flussbetten, glutrote Sonnenuntergänge. Das weiß man aus Filmen. Aber wenn man nur Filme gesehen hat, weiß man nichts von New Mexico.
Calvin Tafoya ist ein Indianer vom Stamm der St. Clara Indians. Er ist ein Clan-Chief, ein Häuptling, ein Governor. Und er ist ein weiser Mann. Das merkt man aber erst nach ein paar Tagen, wenn man stundenlang neben ihm im Auto gesessen und durch "sein Land" gefahren ist. Sein Land - das ist das heutige New Mexico. An der Grenze zu Mexico, das aber ganz anders ist. Dieser 47. amerikanische Bundesstaat beherbergt heute 19 indianische Stämme, die in Dorfgemeinschaften - den Pueblos - am Ufer des großen Flusses Rio Grande und an dessen kleinen Nebenflüssen leben.
Diese Dörfer sind alles, was ihnen die spanischen Eroberer, die hier einst nach Gold suchten, gelassen haben. Vorüber tausend Jahren waren Calvins Vorfahren schon hier. Denn hier, so glaubten sie, sei der Mensch einst aus dem Erdinneren herausgekommen, nachdem ein Dachs das Loch dafür gegraben hatte - zum Licht, zur Sonne. Hier in New Mexico, in der Nähe von Albuquerque, soll das gewesen sein - lange, lange bevor der erste Weiße im Jahr 1540 hierherkam.
Wenn Calvin gerade nicht in seinem Pueblo Recht sprechen oder die religiösen Zeremonien ausüben muss, bei denen kein Weißer zugegen sein darf - oft nicht einmal Angehörige eines anderen Clans - dann arbeitet er im Tourismusbüro von Santa Fe. Von früh bis spät erklärt er den vielen Gästen aus anderen Staaten oder fremden Ländern "sein" New Mexico. "Sein" Land hat von den weißen Landsleuten, die am fernen Regierungssitz Washington über ihn herrschen, den Slogan "Land of Enchantment" verpasst bekommen, was man so ungefähr mit "Land der Verzauberung" übersetzen könnte oder auch mit "Land des Entzückens". Doch das trifft die europäische Mentalität überhaupt nicht. Und gerade diese Gäste will man hier gern haben, denn man braucht sie sehr. New Mexico ist keineswegs ein reicher amerikanischer Staat. Industrie hat sich hier kaum angesiedelt. New Mexico ist fast so groß wie Deutschland, hat aber nur wenig mehr Einwohner als München. Eingerahmt wird es von den Staaten Texas, Arizona, Utah und Colorado. Wie aber soll man New Mexico so bekannt machen wie diese? Was bietet das Land, was andere nicht haben? Die Spanier meinten vor 500 Jahren es sei Gold. Das suchten sie. Nicht sehr erfolgreich übrigens. Vom benachbarten Inkareich Mexico, wo sie herkamen, waren sie verwöhnter.
New Mexico hat andere Vorzüge. Es ist ein Land von großer Erhabenheit,
Würde und Stille. Für Calvin und für die anderen Stämme,
die Apachen und die Navajas - für alle diese "Native Americans",
die Ureinwohner also - ist es "Heiliges Land". Sie leben seit eh
und je in großer Harmonie mit der Natur, ihrer Religion und ihren Mitmenschen.
Die einzelnen Pueblos haben jeweils eine eigene Verwaltungsform, ihre besonderen
Stammesgesetze und zum Teil auch eine eigene Sprache. Diese Rechte gestand
ihnen schon 1620 der spanische König zu. Präsident Lincoln hat sie
1863 in die Verfassung der Vereinigten Staaten aufgenommen.
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