Der alte Mann schiebt mit der einen Hand sein klappriges Fahrrad, mit der anderen führt er ein kleines Schwein an einer Schnur. Wir sind auf der Autobahn irgendwo auf der großen Insel und er kommt uns entgegen - einfach so. Das ist hier ganz normal. Auch Fahrräder ohne Rücklicht, Autos mit überhaupt keiner Beleuchtung und Pferdekutschen frequentieren diese Straße, die die größeren Städte verbindet, aber nicht mit unseren Schnellstraßen zu vergleichen ist. Immerhin fällt der Scheinwerfer zuweilen auf ein Schild, das die Kilometerzahl bis zum nächsten größeren Ort angibt. So wissen wir wenigstens, wo wir uns befinden - ungefähr.
Der Mann mit dem Fahrrad und dem Schwein ist schon fast reich, im Gegensatz zu seinen Brüdern in der Stadt, die sich ein Schwein nicht halten können. Sie sind auf die nächste Zuteilung angewiesen: ein Kilo Fleisch pro Kopf im Monat und sechs Pfund Reis. Bohnen kann man auf dem Markt kaufen. Und dann kocht man zuhause weißen Reis und braune Bohnen - ein Gericht, das "Cristianos und Moros" heißt, Christen und Mohren. Das Nationalgericht - wie bei uns Linsen und Spätzle.
Kuba ist die größte Insel der Großen Antillen am nördlichen Rand des Karibischen Meeres. 1250 Kilometer lang und durchschnittlich 110 Kilometer breit liegt sie, umgeben von unzähligen kleinen, meist unbewohnten Inseln im azurblauen Meer - die nächsten Nachbarn sind die Bahamas im Nordosten und Haiti im Osten. Auch Jamaika im Süden ist nicht weit. Alle diese Inseln haben eine Gemeinsamkeit, die sie liebenswert macht: ihre Musik und ihre Fröhlichkeit.
Kuba unterscheidet sich jedoch gravierend von den anderen Inseln durch seine andere Politik, die Fidel Castro im Juli 1953 mit einem mißglückten Angriff junger Patrioten auf eine Kaserne in Gang setzte. Die Umsturzpläne scheiterten damals, doch der Rebellenführer hatte die Herzen der armen Unterschicht gewonnen - bis heute. Fidel Castro und sein argentinischer Genosse Che Guevara, dessen Gebeine man erst kürzlich fand und feierlich bestattete, werden vom Volk als Helden hoch verehrt. Die Revolutionsregierung besteht seit 1959. Seitdem gibt es auf Kuba keinen Großgrundbesitz mehr. Die Zuckerproduktion, von der Kuba lebt, sollte nicht mehr von den USA kontrolliert werden. Fidel Castro verstaatlichte jeglichen US-Besitz und auch andere Privatunternehmen. Daraufhin strichen die USA sämtliche wirtschaftlichen Hilfen, auf die Kuba dringend angewiesen war.
Als Gast in diesem Land merkt man davon freilich nichts. Aber die Armut ist allgegenwärtig und augenfällig. Man ist einem ständigen Wechselbad der Gefühle ausgesetzt: Gibt man einem bettelnden Kind ein Geldstück, kommen hundert andere, für die man keines mehr hat - also läßt man es lieber. Es ist sinnvoller, eine Pferdedroschke zu nehmen, die einen für einen US-Dollar durch das Städtchen fährt, und am Ende der holprigen Reise dem Kutscher zwei Dollar in die Hand zu drücken mit der Auflage, dem alten, geprügelten Gaul neue Hufeisen anpassen zu lassen.
Wahrscheinlich wird der Kutscher das Geld in Rum umsetzen und die nächste Fuhre mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen begleiten. Die Sehenswürdigkeiten seiner Stadt kann er ohnehin nicht erklären - was soll er schon sagen, wenn die Kirche zu ist und der Putz von den gelben Wänden bröckelt? Viele der alten, schönen, großen Kolonialhäuser mit ihren Säulen sind grau und verfallen durch die halboffene Tür erkennt man noch den wunderbaren Fliesenboden und den offenen Innenhof mit seinen Galerien. Die geschnörkelten schmiedeeisernen Gitter rosten. Dahinter sitzen bei geöffnetem Fenster Frauen im Schaukelstuhl und wippen zur afro-kubanischen Melodie. An einer Straßenecke hat eine Frau ein Holzbrett ans Gitter gehängt; darauf stehen bunte Tässchen aus Plastik, aus denen sie für ein paar Pesos schwarzen Kaffee an die Vorübereilenden verkauft. Stolz zeigt sie uns die dafür nötige Lizenz vom Staat - sie darf das. Sie muss es auch und nimmt freudig unseren US-Dollar entgegen, kann sie doch nachher auf dem Markt ein bißchen Öl dafür kaufen.
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