"Deutschland ist im Sommer der Gipfel der Schönheit, aber niemand hat das höchste Ausmaß dieser sanften und friedvollen Schönheit begriffen, wirklich wahrgenommen und genossen, der nicht auf einem Floß den Neckar hinabgefahren ist."
Der das schrieb, so gegen Ende des 19. Jahrhunderts, war Mark Twain, den wir als Autor von "Huckleberry Finn" oder "Tom Sawyers Abenteuer" kennen. Gemacht hat er diese Floßfahrt freilich nie, nur mit seiner ungewöhnlich lebhaften Phantasie in seinem Buch "A tramp abroad" so beschrieben, dass man als Leser im Geiste mitfährt, mitstochert, mitleidet - so, als beispielsweise ein Sturm aufkommt, der das Gefährt fast zerschmettert.
Mark Twain heiss eigentlich Samuel Langhorne Clemens: er entlieh sich seinen Schriftstellernamen aber nicht etwa vom Floßfahren, sondern bei der Mississippi-Schifffahrt, denn er war jahrelang Lotse auf einem Dampfer. Auf dem Ausguck hatte er darauf zu achten, wie tief das Wasser unter dem Kiel stand und musste die "Fäden" ausrufen. Im Süden Amerikas hieß das "Mark one, mark twain" und so weiter "Markiere eins, markiere zwei"
Das Neckartal hat er jedoch tatsächlich ausgiebig bereist, zu Fuß, in der Kutsche, mit der Eisenbahn und natürlich auch mit dem Dampfer auf dem Neckar. Er muss sehr angetan gewesen sein von dieser Gegend, denn er kam später auch mit seiner Frau, seinen Kindern und einer Freundin wieder - deren Rolle in der Familie nicht so ganz geklärt ist.
Mark Twains Reise im Neckartal lässt sich problemlos genau so nachvollziehen, wie er sie einst gemacht hat. Nur dass es einem heute mit Hilfe der Fremdenverkehrsämter wesentlich einfacher gemacht wird.
So kann man beispielsweise in der hübschen mittelalterlichen Stadt Wimpfen erst einmal einen Rundgang durch die Altstadt und ihre Hoppelpflastergassen machen. Wie auch immer man sich Wimpfen nähert, ist die Stadt allein schon durch ihre ungewöhnliche Silhouette aus der Ferne bemerkenswert. "Hochgebaut", "kaiserlich", "majestätisch" - so lauten die Adjektive in alten Reiseführern. Und konsequent wurde die ganze Altstadt, dieses beeindruckende Ensemble historischer Architektur, unter Denkmalschutz gestellt.
Einst eine wichtige römische Siedlung, wurde Wimpfen zur staufischen Kaiserpfalz, also reich. Davon zeugen noch die wundervollen Arkadenbögen, die Türme und die hohen mittelalterlichen Wohnbauten. Die Stadtführerin im Gewand der Beatrice von Burgund vermittelt lebhaft die Historie der Stadt. Mark Twain beschreibt Wimpfen als ein "ehrwürdiges altes Dorf sehr malerisch und sehr verfallen, sehr schmutzig und sehr sehenswert".
Heute ist es eine schmucke Stadt mit knapp 7000 Einwohnern und seit 1930 ein Solebad, in dem man sehr gepflegt und effektiv kuren kann. In den stellen engen Gassen findet man hübsche uralte Weinwirtschaften, die eine gute Küche bieten. Sonntags um zwölf schmettern die Blechbläser ihre Choräle vom Turm der Stadtkirche und Süddeutschlands einzige Türmerin empfängt gerne Besucher im Blauen Turm, wenn man die 169 Stufen zu ihr hinauf schafft.
In der sechsten Generation betreibt die Familie Feyerabend am Marktplatz ihre winzige Gaststube und serviert zur Mittagszeit heiße Lauch- und Zwiebelkuchen direkt aus dem Backofen. Hier fanden wir im Wandgebälk einen Spruch aus dem Jahr 1563: "Zum Hängen und zum Freien soll niemand Rat verleihen". Man kann sich gut vorstellen, wie in dieser Stube nach ein paar Gläsern Wein den Zechern Sprüche und Wahrheiten dieser Art eingefallen sind.
Die Rebenhänge entlang des Neckars haben auch Mark Twain auf seiner Reise begleitet, aber sehr gemocht hat er den Wein nicht, den er hier trank. Er war ihm zu sauer. Heute hingegen hat der Weinbau im Neckartal einen entschieden besseren Stellenwert. Die peinlich gepflegten Hanglagen sind bereits vom Fluss aus sehenswert. In jeder Ortschaft, die man passiert, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die Jahrgänge zu probieren - sehr häufig beim Winzer selbst - wo man ihn auch gleich kaufen kann.
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