Das Orakel von Delphi sagte einst - es war im 7. Jahrhundert vor Christus - dem Griechen Telesiklis vom Stamm der Ionier, er werde auf der "Heiligen Insel" vor der mazedonischen Küste eine bedeutende Stadt gründen.
Diese heilige Insel, Thassos nämlich, war aber zu jener Zeit längst besiedelt. Die Thrazier lebten schon tausend Jahre vor Christi auf der kleinen, fast kreisrunden Insel. Die Phönizier kolonisierten sie, nachdem sie hier Gold- und Erzvorkommen entdeckt hatten. Den Namen aber gab ihr Thassos, der Sohn des phönizischen Königs Aginor. Er suchte hier nach seiner Schwester Europa, die der alte Gott Zeus entführt hatte. So jedenfalls steht es in den alten Sagen, an denen das Land reich ist.
Nähert man sich heute mit der Autofähre, von Keramoti, der Hafenstadt auf dem Festland kommend, dem grünen Eiland, könnte man meinen, in eine frühere Zeit zurückzugleiten. Nur die großen Lastwagen, die - vollbeladen mit riesigen Marmorquadern - am Kai stehen, erinnern einen daran, dass man sich im 21. Jahrhundert befindet. Marmor ist hier das Gold von heute - es wird vornehmlich in arabische Länder exportiert.
Auf Thassos geht das Leben einen ruhigen Gang. Auch die Fremden, die hier Urlaub machen, beschleunigen ihn nicht. Sie fallen nicht in Scharen aus silbernen Flugzeugen über das Inselvolk hernieder, sondern sie müssen ein Schiff nehmen, das man von weitem kommen sieht. Man kann sich auf sie einstellen, wie einst auf die Piraten. Der Dorfpolizist rückt dann seine Mütze gerade und beginnt, den spärlichen Verkehr zu regeln.
In den Sommermonaten muss er freilich ein bisschen mehr tun. Er bekommt dann Verstärkung vom Hafenmeister. Der trägt ebenfalls eine Dienstmütze, steht aber ansonsten unauffällig am Kai und sieht dem jetzt lebhafteren Treiben gelassen zu. Er packt nicht mit an, als zwei alte, dunkelgekleidete Frauen keuchend ein Sofa an Bord der Fähre schleppen, mit der sie zum Festland wollen. Das ließe seine Männlichkeit nicht zu.
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