Reisegeschichten - vorgestern wie übermorgen

von Annerose Lohberg-Goelz

Schweden: Mariefred   I II III Schweden


Zurückversetzt ins Mittelalter

Tucholsky kam an einem "strahlend hellen Tag" hier an und "das Schloss, aus roten Ziegeln erbaut, stand leuchtend da, seine runden Kuppeln knallten in den blauen Himmel."

Gedenktafel Bundesallee 79 (Fried) Kurt Tucholsky

Bei unserer Ankunft stand über den Türmen von Schloss Gripsholm noch eine leuchtend rote Sonnenscheibe, blauweiße Wimpel knatterten im Wind und Segelschiffe kreuzten in der Bucht. Kleine schnelle Pferde in roten und silbernen Schabracken galoppierten auf der Wiese vor dem Schloss, Ritter in Kettenhemden schleuderten Speere, eine riesige Menschenmenge jubelte. Wir fanden uns ins Mittelalter zurückversetzt.

Was ist hier los? Ist Gustav Vasa zurückgekommen? Immerhin saß er zu der Zeit, als er Schloss Gripsholm erbauen ließ - das war im Jahre 1537 - auf dem schwedischen Königsthron. Doch er hat diesen Prachtbau nie bewohnt. Was also soll das Spektakel?

Man hat, so werden wir belehrt, sich plötzlich - im Jahr 1991 - an eine alte Tradition erinnert und die mittelalterlichen Turnierspiele wieder aufgenommen, wie sie hier vor über 250 Jahren stattgefunden haben. Turnierregeln aus dem 13. Jahrhundert sind aufgefunden worden. Und nun werden immer in der letzten Woche im Juli vor dieser großartigen Kulisse Ritter von heute um Turnierehren kämpfen - ganz wie damals. Im Festsaal von Schloss Gripsholm wird Musik auf mittelalterlichen Instrumenten gemacht und höfischer Tanz zelebriert. Im "Värdshas" gibt es mittelalterliche Gastmahle, wobei ein Gericht aus Fleisch vom Elch nicht fehlen wird.

Langsam lässt man es in Mariefred angehn. Mir scheint, das Wort "Hektik" ist hier unbekannt, von Stress ist nirgendwo etwas zu spüren. Da ist die Storgatan, die Große Straße, die eigentlich eher eine kleine Gasse ist, in der sich das Leben der kleinen Stadt abspielt. Hier sind Rathaus und Markt, der offizielle Mittelpunkt also. Der wirkliche Mittelpunkt aber ist ein fast hundertjähriger winziger Buchladen, in dem sich Jung und Alt zum Klatsch trifft oder um Weisheiten aus dem Mund der alten Besitzerin zu vernehmen, die die Ehre hatte, einmal vom schwedischen König empfangen worden zu sein. Sie zeigt gern und stolz ein Foto von diesem Ereignis und verkauft gleichzeitig nebenbei ein paar englische Krimis, deutsche Schnittmuster und schwedische Schulbücher.

In den Seitenstrassen findet man kleine Galerien mit allerlei bemerkenswerter moderner Kunst; die Antiquitätengeschäfte sind keineswegs verstaubt, sondern bieten liebevoll restaurierte schöne alte Dinge zum Kauf an. In den Cafés muss man sich - wie häufig in Schweden - selbst bedienen. Überall kann man an blitzsauberen Tischen, bis in die lange Sommernacht hinein, Platz nehmen und dem gemächlichen Treiben zusehen. Die Nacht ist kurz, man muss sie nutzen.

Dafür sind schwedische Sommertage lang und von Sonne erfüllt. Der Geruch der Wiesen und der Blumen ist unbeschreiblich, das Licht ein anderes als in unseren Breitengraden.

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