In Zeiten, da Millionen Menschen in anderen Ländern Ferien machen, in Zeiten, in denen viel geschrieben wird über den sonnigen Süden, über das kristallklare Wasser in der Karibik, über die Exotik von Bangkok und Singapur, über Länder, in denen wir unseren Alltag vergessen können - in diesen Zeiten kann man auch einmal daran erinnern, dass es Sehenswürdigkeiten gibt, wo wir sie gar nicht vermuten.
Was würden Sie denken, wenn jemand zu Ihnen sagte "Let's go to Manchester?" "Der spinnt!" würden Sie denken. Und damit würde es Ihnen genau so gehen wie mir. "Manchester of all places!" dachte ich im besten Englisch. "Was soll ich da?"
Sofern wir überhaupt etwas von dieser Stadt im Nordwesten Großbritanniens wissen, denken wir an Schmutz, an qualmende Fabrikschornsteine, an Armut und Elend. Vielleicht auch daran, dass man tatsächlich spinnen mußte, um Manchester etwas abzugewinnen. Denn durch Spinnen und Weben ist die Stadt groß geworden. Und dann fällt dem Fußballfreund wohl noch der Club Manchester United ein, der dem FC Liverpool immer ein wenig hinterherhinkt. Und das wär's denn auch. Man kommt aber um die große Stadt Manchester kaum herum, wenn man von London in den Norden nach Schottland fahren will. Und es lohnt sich tatsächlich, dort Aufenthalt zu nehmen, sich umzusehen und umzuhören.
Manchester ist nach London die zweitgrößte Stadt Großbritanniens und als Industriegebiet gehören Manchester und seine Umgebung - zusammengefasst unter dem Begriff "Greater Manchester" - noch heute zu den bedeutendsten der Welt. Nähert man sich der Gegend, fallen einem von weitem am Rande grüner Weiden die riesigen Fabrikschornsteine auf. Sie rauchen aber nicht mehr. Man lässt sie stehen wegen ihres historischen Wertes.
Hier begann die "Industrielle Revolution", die eine große Rolle in der englischen Geschichte spielt. Es ging um Baumwolle, die hier schon im frühen Mittelalter bearbeitet wurde. Sie kam aus den englischen Kolonien und wurde von Hunderttausenden der ärmsten Arbeiter gesponnen, gewirkt und gewoben. Nur knapp 50 Kilometer vom Seehafen Liverpool entfernt, kam die Baumwolle über den Bridgewater-Kanal auf kürzestem Weg nach Manchester, wo die Arbeitskräfte billig waren.
Ursprünglich waren sie Heimarbeiter, die sich - nebenbei - mit dem Spinnen und Weben Geld verdienten. Dann wurde die Industrie erfunden und die Heimarbeit unrentabel. Die Bewohner von Manchester waren, weil sie sonst verhungert wären, zur Fabrikarbeit gezwungen. Das war zunächst erschreckend und fremd. Die "Industrielle Revolution" war angebrochen, die - wie jede Revolution - alle Werte veränderte.
Einer der Spinnereibesitzer war der Vater von Friedrich Engels, der das physische wie psychische Leid der Arbeiter 1847 zusammen mit Karl Marx in das aufsehenerregende "Kommunistische Manifest" umsetzte und damit die ganze Welt auf die schreiende Ungerechtigkeit zwischen Herrschenden und Arbeitenden aufmerksam machte.
Man erreichte damals, dass die 200 000 Arbeiter in diesem Gebiet nicht zur Gegenrevolution aufriefen, sondern sich friedlich zu Vereinen zusammenschlossen, schließlich auch im Unterhaus repräsentativ vertreten waren und ein Mitspracherecht bekamen. Insgesamt hatte die Industrielle Revolution auch einige gute Seiten. Es gab Arbeit und damit Brot für alle, die Kinderarbeit wurde abgeschafft, man gründete Schulen, die auch für Arme zugänglich waren und deren Besuch sogar Pflicht wurde.
Die Stadt wuchs, die Baumwollspinnereien, -webereien und -druckereien wurden zahlreicher, Manchester wurde wohlhabender - aber nicht schöner. 1830 fuhr die erste Eisenbahn mit der berühmten Dampflokomotive "Rockett" in Manchesters Bahnhof ein; damit war die Stadt an den Rest der Welt angeschlossen. Noch heute ist man stolz auf das ausgezeichnete Eisenbahnnetz in Großbritannien, das in Manchester seinen Ausgang nahm. Hier steht auch das älteste Bahnhofsgebäude der Welt.
Fortsetzung: Merry Olde England >>
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