Reisegeschichten - vorgestern wie übermorgen

von Annerose Lohberg-Goelz

Guernsey    I II III


Klippenwege um die ganze Insel

Guernsey

Eine Steinfigur steht an der Pforte zum Kirchhof von St. Martin. Sie wird liebevoll "La Grandmère du Chimquière" genannt und ist ums Jahr 700 v.Chr. entstanden - zu der Zeit, in der man gerade anfing, Gestein zu behauen und bildhauerisch kreativ tätig zu werden. Und doch wirkt sie erstaunlich modern.

La Gran'mère du Chimquière Guernsey

Auf Guernsey hat man nie das beklemmende Gefühl, dass hier Tourismus veranstaltet wird. Jeder Gast muss sich selbst in die Atmosphäre und die Mentalität dieses Inselstaates hineinfinden. Es ist alles da, was er braucht: Sonne, Meer, Hotels. Wie er diese Dinge benutzt, ist sein eigenes Problem. Mittags und abends finden sich Einheimische wie Touristen in den Lokalen am Hafen ein oder in den Pubs. Man hat die Auswahl unter englisch-klassischem oder italienischem, französischem und chinesischem Essen.

Guernseys Einheimische sind stolz auf ein mächtiges steinernes Ungetüm, das vor der Hafeneinfahrt im Wasser liegt: Castle Cornet, eine Wasserfestung, die in der Geschichte eine wichtige Rolle gespielt hat. Seit 1204 hat sie alle Heere des Abendlandes gesehen, zuletzt das deutsche im Jahr 1940. Jetzt hat man sie einem friedlichen Zweck zugeführt: das Bürgerwehrmuseum und das Schiffahrtsmuseum sind darin untergebracht. Nachts wird die Festung angestrahlt und bietet dann vom Ufer aus einen zauberhaften Anblick. Man vergißt so den recht trostlosen Eindruck, den der Hafen immer dann macht, wenn der Wechsel der Gezeiten das Meer um volle fünfzehn Meter abfallen läßt. Viele Boote und Jachten sitzen einfach im Morast. Hier gibt es den gewaltigsten Tidenhub Europas.

Auch an den Badestränden - sei es der etwas überlaufene von Moulet Huet, die nicht so einfach zu erreichenden Sandbuchten von Jaonnet und La Bette oder die winzige von Petit Bot - sollte man sich immer nach den Gezeiten richten, die einem jeder Einheimische sagen kann. Sonst sitzt man hin und wieder tatsächlich auf dem Trockenen.

Doch des Badens wegen geht man kaum nach Guernsey. Weit eher schon, um ausgiebig spazierenzugehen. Und zwar auf den Klippenwegen, die um die ganze Insel herumführen. Manchmal sind sie hoch über dem Meeresspiegel zwischen spitzen Felsen, dann wieder nahe am Wasser angelegt. Sie führen an Höhleneingängen vorbei oder man wandert stundenlang durch einen kühlen, grünen Wald. Selten begegnen Sie einem Menschen. Und wenn, dann will er ebenso allein sein wie Sie selbst. Es ist müßig, nach einer Beschilderung Ausschau zu halten. Sie ist nicht da. Wozu auch? Irgendwo wird man schon herauskommen - im Zweifelsfall am Wasser. Und dort ist immer eine Kneipe. Diese Wege gehören zum Schönsten, was die Insel zu bieten hat. Sie können viele Tage damit zubringen, immer neue zu erkunden. Denn jeder ist wieder ganz anders und die Landschaft auf Guernsey ist überaus verschieden.

Sonst aber ist im Inneren der Insel nicht viel los. Straßen und Sträßlein ziehen sich scheinbar ungeordnet übers Land. Überall stehen und liegen die berühmten Guernsey-Kühe mit ihren sanften großen Augen. Auch auf den vielen Golfplätzen. Sie muhen ab und zu unwillig, wenn ein Ball sie trifft, aber sie grasen ungestört weiter. Die Guernsey-Kuh ist zum Erschrecken mager, doch das muss so sein; sie gibt dennoch sehr viel mehr und fettere Milch als jede andere Rasse. Deshalb ist sie auf der ganzen Welt sehr begehrt. Doch wenn eine Guernsey-Kuh einmal ihre Heimat verlassen hat, darf sie nie mehr zurück.

Ich bin froh, dass ich keine Guernsey-Kuh bin, ich darf wieder hin.

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Guernsey    I II III




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